Könnte der Klimawandel die nächste Pandemie auslösen?
SustainabilityVideo16. September 2020
Zurich hat sich mit VICE zusammengetan, um die möglichen Auswirkungen des Klimawandels auf unsere zukünftigen Leben genauer zu beleuchten.
Zukünftige Pandemien könnten vom Klimawandel und dem zunehmenden Verlust der biologischen Vielfalt ausgelöst werden, warnt das Weltwirtschaftsforum in ihrem COVID-19 Risiko Ausblick vom Mai diesen Jahres. Das Schmelzen von Permafrost an den Polen des Planeten setzt uralte Viren frei, die im gefrorenen Boden eingeschlossen waren. Wissenschaftler*innen befürchten, dass derartige Viren in Zukunft grossflächige Krankheitsausbrüche verursachen könnten. Die abnehmende Artenvielfalt und der Verlust natürlicher Lebensräume sind ebenfalls wichtige Faktoren bei der Ausbreitung sogenannter Zoonosen, Infektionskrankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden – wie auch zuletzt das Coronavirus.
Frostboden, auch Permafrost genannt, taut infolge der globalen Klimaerwärmung heute immer schneller. Wenn das passiert, wird Methan und CO2 in der Atmosphäre freigesetzt, was wiederum die globale Erderwärmung beschleunigt. Hinzu kommt, dass Methan als Treibhausgas 30 mal stärker als CO2 ist. Von Wollhaarmammuts bis hin zu menschlichen Körpern, die nahe der Pole lebten: Permafrost konserviert Jahrtausende an Leben. Eingefroren in den Momenten, in denen sie starben, tragen einige immer noch jene Viren in sich, die ihren Tod verursachten.
Wissenschaftler*innen konnten ein Virus vollständig sequenzieren, das für die Grippepandemie 1918 verantwortlich war und schätzungsweise 50 Millionen Menschen das Leben kostete. Sie fanden das Virus in den exhumierten Körpern eines Massengrabs in einem kleinen Dorf in Alaska, das von der Grippepandemie heimgesucht wurde. Die Viren in diesen Körpern waren tot und deshalb ungefährlich. Trotzdem gibt es Grund zur Sorge, dass andere Viren durch den schmelzenden Permafrost freigesetzt werden könnten, zurückkehren und sich wieder ausbreiten.
2014 wurde im sibirischen Permafrost ein uraltes Virus mit dem Namen Pithovirus sibericum gefunden, das nach dem Auftauen wieder zum Leben erweckt wurde. Es war über 30.000 Jahre eingeschlossen und stellte glücklicherweise weder eine Gefahr für Mensch oder Tier dar. Das bedeutet aber nicht, dass der schmelzende Permafrost nicht lebensgefährlich sein kann. In einem anderen Teil Russlands wurde im August 2016 ein 12-jähriger Junge getötet und mindestens 20 Menschen ins Krankenhaus eingeliefert, nachdem sie mit tödlichen Milzbrand-Bakterien angesteckt wurden. Man nimmt an, dass sie durch den im Permafrost getauten Kadaver eines Rentiers infiziert wurden, welches durch jene Bakterien vor 75 Jahren ums Leben kam.
“Ich denke, die Viren und Auswirkungen des schmelzenden Permafrosts auf zukünftige Pandemien sind keine wirklich grosse Gefahr”, so John Scott, Head of Sustainability Risk der Zurich Insurance Group (Zurich). “Es gibt andere Risiken, wie die zoonotische Übertragung von Krankheiten, das heisst Viren, die von Tieren auf Menschen übertragen werden.”
Die Zerstörung natürlicher Lebensräumen durch Abholzung sowie landwirtschaftliche und städtische Expansion bringt Menschen und Tiere näher zusammen und erhöht damit das Risiko, dass sich Zoonosen auf neue Wirte ausbreiten. “Noch nie gab es so viele Möglichkeiten für Krankheitserreger, die von Wild- und Haustieren auf Menschen übertragen werden”, sagt Inger Andersen, Executive Director des United Nations Environment Programme (UNEP). “Die Abtragung natürlicher Lebensräume hat uns unangenehm nahe an Tiere und Pflanzen gebracht, die Krankheiten in sich tragen.”
Im Durchschnitt tritt beim Menschen alle vier Monate eine neue Infektionskrankheit auf; 75% dieser stammen von Tieren. Dies geht aus dem Frontiers 2016 Report on Emerging Issues of Environment Concern des UNEP hervor – eines davon ist das Coronavirus.
Der Rückgang der biologischen Vielfalt erhöht nicht nur das Risiko der Ausbreitung von Pandemien, sondern verringert auch das Risiko diese einzudämmen, da wir uns bei der Herstellung von Arzneimitteln stark auf die Natur verlassen. “Die natürliche Biosphäre ist tatsächlich die Quelle vieler Materialien, bei denen es sich möglicherweise um natürliche Arzneimittel handelt, auf die wir uns verlassen und an die wir nicht einmal denken”, sagt Scott von Zurich. “Sie befinden sich tief in der Lieferkette vieler pharmazeutischer Produkte. Vielleicht werden einige überrascht sein, weil sie denken, dass all dieses Zeug magisch aus einer Fabrik kommt, weil sie sich noch nie wirklich darüber Gedanken gemacht haben, woher die Rohstoffe eigentlich kommen.”
Wenn die Menschheit das Risiko zukünftiger Pandemien und Ausbrüche übertragbarer Krankheiten eindämmen will, müssen wir den Klimawandel und den Verlust der biologischen Vielfalt ernst nehmen. Die wirtschaftliche Erholung vom Coronavirus kann nicht bedeuten, dass wir den Schaden ignorieren, der dem Planeten zugefügt wurde.